Beschluss vom 04.11.2002 -
BVerwG 7 B 70.02ECLI:DE:BVerwG:2002:041102B7B70.02.0

Beschluss

BVerwG 7 B 70.02

  • VG Leipzig - 08.03.2002 - AZ: VG 1 K 1409/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. November 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l , K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 8. März 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Die Klägerin macht vermögensrechtliche Ansprüche geltend in Bezug auf ein Grundstück in ..., das in ihrem Eigentum stand und einer Zweigniederlassung ihres ehemals unter der Firma "..." mit Sitz in ... geführten Unternehmens diente. Anders als eine weitere Zweigniederlassung der Klägerin in ..., die als "..." in eine von der sowjetischen Besatzungsmacht bestätigte Enteignungliste aufgenommen und auf der Grundlage des thüringischen Enteignungsgesetzes vom 24. Juli 1946 in Volkseigentum überführt wurde, wurde die Zweigniederlassung in ... nicht sequestriert. Im Zuge einer Nacherfassung erließ das sächsische Amt zum Schutze des Volkseigentums am 31. Mai 1952 einen Feststellungsbescheid, wonach das Grundstück in ... nebst anderen Vermögenswerten der "..." aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien Nr. 1 zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 Eigentum des Volkes "ist".
Der Beklagte lehnte den Rückübertragungsantrag der Klägerin ab, weil das Grundstück auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden und darum gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG von der Restitution ausgeschlossen sei. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete, auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob das angegriffene Urteil von den in der Beschwerdebegründung bezeichneten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Eine Abweichung kommt namentlich mit Blick auf den Beschluss des Senats vom 8. April 1998 - BVerwG 7 B 7.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 149 in Betracht. Während das Verwaltungsgericht der Nr. 2 Abs. 1 der Richtlinien Nr. 1 eine das Ende der Besatzungszeit überdauernde "Vollzugsverantwortung" der Besatzungsmacht entnommen hat, hat der Senat entschieden, dass die in Nr. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinien angeordneten Erstreckungsregelungen die Gesamtheit der einem enteigneten Unternehmen zuzuordnenden Vermögenswerte einschließlich aller wirtschaftlich zusammenhängenden Betriebsstätten unabhängig von einem weiteren tatsächlichen Eigentumszugriff erfassten. Hiernach ist für die Annahme eines späteren, der Besatzungsmacht aufgrund ihres Vollzugsauftrags zuzurechnenden Vollzugsakts kein Raum; das verkennt das Verwaltungsgericht ebenso wie die Beschwerde, die auch mit ihren übrigen Abweichungsrügen davon ausgeht, dass die genannten Erstreckungsregelungen einen Vollzugsauftrag erforderten. Aus der einschlägigen Rechtsprechung des Senats folgt zugleich, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Grundstück in ... sei erst nach Ende der Besatzungszeit durch DDR-Behörden enteignet worden, auf einem offensichtlich unzutreffenden Verständnis der Nr. 2 der Richtlinien Nr. 1 beruht. Da es sich bei dieser Annahme, die den enteignenden Zugriff zu Unrecht in dem Feststellungsbescheid in Verbindung mit der 1952 erfolgten Umschreibung des Eigentums erblickt, um eine rechtliche Wertung und nicht um eine Tatsachenfeststellung handelt, würde der Senat hieran in einem Revisionsverfahren nicht gebunden sein.
Auch wenn in der fehlerhaften Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts eine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gesehen wird, sind die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision jedenfalls deswegen nicht erfüllt, weil sich das angegriffene Urteil im Ergebnis offensichtlich als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO entspr.):
Auf der Grundlage der Hauptbegründung des Verwaltungsgerichts, wonach Objekt der in Thüringen durchgeführten Enteignung nicht die dort betriebene Verkaufsstätte für Autoreifen, sondern das Unternehmen der Klägerin gewesen sei, liegt die besatzungshoheitliche Natur der Enteignung des Grundstücks in ... auf der Hand; eine solche ist für Enteignungen zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 7. Oktober 1949 bereits dann anzunehmen, wenn die Enteignung dem generellen oder im Einzelfall geäußerten Willen der sowjetischen Besatzungsmacht entsprach (vgl. Beschluss vom 16. Oktober 1996 - BVerwG 7 B 232.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 90). Nach Nr. 2 Abs. 1 der Richtlinien Nr. 1 sollten sich die Enteignungen wirtschaftlicher Unternehmungen über das bilanzierte Vermögen hinaus überhaupt auf das den betrieblichen Zwecken dienende Vermögen einschließlich aller Rechte und Beteiligungen erstrecken, soweit nicht die Beschlüsse der Landeskommissionen ausdrücklich etwas anderes bestimmten. Entgegen der Ansicht der Beschwerde und des Verwaltungsgerichts trat diese Erstreckungswirkung ein, ohne dass es hierfür eines Enteignungsauftrags, eines weiteren Vollzugsakts oder einer vorherigen Sequestration bedurfte.
Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Hilfsbegründung des Verwaltungsgerichts, die von der Annahme ausgeht, dass sich die Enteignung auf die Zweigniederlassung in ... beschränkt habe. Für diesen Fall hat das Verwaltungsgericht die Enteignung des Grundstücks in ... aus Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien Nr. 1 abgeleitet; danach sollte bei nur teilweiser Enteignung eines Unternehmens mit mehreren Betriebsstätten die Enteignung auch alle anderen Unternehmensteile erfassen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang untereinander standen. Auch diese Erstreckungsregelung setzte nach der Rechtsprechung des Senats keinen weiteren Vollzugsakt voraus. Die von der Enteignung eines Unternehmensteils betroffenen Eigentümer von Unternehmen, zu denen mehrere Betriebsstätten gehörten, mussten sich - auch unabhängig von einem weiteren tatsächlichen Eigentumszugriff - nach Maßgabe der Nr. 2 Abs. 2 zugleich hinsichtlich ihrer übrigen in der sowjetischen Besatzungszone gelegenen Betriebsstätten und Vermögenswerte als aus ihrem Unternehmenseigentum verdrängt betrachten (vgl. Urteil vom 2. März 2000 - BVerwG 7 C 13.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 11 m.w.N.; das Urteil vom 3. Juni 1999 - BVerwG 7 C 35.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 4 besagt nichts anderes; das Urteil vom 6. Dezember 1996 - BVerwG 7 C 9.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 96 betrifft die Erstreckungswirkung einer Enteignung im sowjetischen Sektor von Berlin und ist darum im vorliegenden Fall nicht einschlägig).
Hiernach konnte für die Klägerin angesichts der zugleich mit dem SMAD-Befehl Nr. 64 bekannt gegebenen Richtlinien Nr. 1 vom 28. April 1948 kein Zweifel bestehen, dass ihr Unternehmensvermögen in ... bereits mit der ihre Zweigniederlassung in ... betreffenden Enteignung enteignet war. Die erst vier Jahre später erfolgte Umsetzung dieser Maßnahme ließ deren besatzungshoheitliche Natur nicht entfallen.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die für klärungsbedürftig gehaltene Frage zu den Voraussetzungen, unter denen eine Enteignung aufgrund eines die Besatzungszeit überdauernden Vollzugsauftrags besatzungshoheitlicher Natur sein kann, würde sich nach dem Gesagten in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Gleiches gilt für die Frage, ob sich aus Nr. 2 der Richtlinien Nr. 1 ein Enteignungsauftrag entnehmen lässt. Die weitere Frage, ob "ein Unternehmen mit Sitz außerhalb der sowjetischen Besatzungszone üblicherweise von Nr. 2 Abs. 1 unberührt gewesen und bei Zugriff auf Niederlassungen nur beschränkt und ohne weitergehenden Enteignungsauftrag betroffen sein" wird, rechtfertigt, soweit sie hier entscheidungserheblich ist, die Zulassung der Grundsatzrevision nicht, weil sie bereits geklärt ist; wie der Senat in seinem Urteil vom 3. Juni 1999 (a.a.O.) für einen vergleichbaren Sachverhalt entschieden hat, wurden mittels Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien Nr. 1 den Unternehmensenteignungen, die sich aus den bestätigten Enteignungslisten der Länder ergaben, Enteignungswirkungen auch in den übrigen Ländern der sowjetischen Besatzungszone dergestalt beigemessen, dass die vorgenommenen Unternehmensenteignungen unabhängig von dem Inhalt der Enteignungslisten jeweils auf das gesamte im wirtschaftlichen Zusammenhang stehende Eigentum der Betroffenen in der sowjetischen Besatzungszone ausgedehnt wurden, um zur Stärkung und Beschleunigung des Aufbaus der Staatswirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone das Volkseigentum abzurunden und zu mehren.
Die im Anschluss hieran aufgeworfene Frage der Beschwerde, unter welchen Voraussetzungen ein "wirtschaftlicher Zusammenhang von Betriebsstätten oder sonstigen Unternehmensteilen untereinander" im Sinne von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien Nr. 1 anzunehmen sei, rechtfertigt schon deswegen nicht die Zulassung der Revision, weil sie die Auslegung nicht revisiblen Rechts betrifft. Davon abgesehen ist, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, der von der Vorschrift vorausgesetzte wirtschaftliche Zusammenhang jedenfalls in Fällen der hier gegebenen Art anzunehmen, in denen unselbständige Zweigniederlassungen einer außerhalb der sowjetischen Besatzungszone niedergelassenen Unternehmenseigentümerin als regionale Verkaufsstätten für die Erzeugnisse der Hauptniederlassung errichtet wurden und damit der Vertriebsorganisation des gemeinsamen Unternehmens dienten. Allein dieses Verständnis entspricht dem von der Besatzungsmacht gebilligten, vorrangig wirtschaftlichen Zweck der Erstreckungsregelung.
3. Auch die von der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 1 VwGO) führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Rüge ist auf die Hauptbegründung des Verwaltungsgerichts beschränkt, wonach Objekt der Enteignung in ... nicht die Zweigniederlassung, sondern unmittelbar das Unternehmen der Klägerin war. Da das angegriffene Urteil selbständig von der Hilfsbegründung getragen wird, kann es auf dem allein die Hauptbegründung betreffenden Verfahrensfehler nicht beruhen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG.