Beschluss vom 19.10.2022 -
BVerwG 7 B 19.21ECLI:DE:BVerwG:2022:191022B7B19.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.10.2022 - 7 B 19.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:191022B7B19.21.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 19.21

  • VG Ansbach - 08.02.2017 - AZ: AN 11 K 16.01743
  • VGH München - 07.05.2021 - AZ: 22 B 18.2189

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Oktober 2022
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Mai 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Erweiterung ihres Schweinezuchtbetriebs.

2 Sie sind Eigentümer mehrerer Grundstücke, die südlich und östlich des Betriebs der Beigeladenen liegen. Eines dieser Grundstücke ist mit Wald bewachsen. Mit Bescheid vom 2. August 2016 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Das Verwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Der Verwaltungsgerichtshof hat die von ihm wegen Verfahrensmängeln zugelassene Berufung zurückgewiesen. Anhaltspunkte für erhebliche Nachteile durch Schädigung empfindlicher Pflanzen und Ökosysteme im Sinne der Nr. 4.8 Abs. 7 TA Luft auf dem Waldgrundstück der Kläger lägen nicht vor. Einer weitergehenden Einzelfallprüfung gemäß Nr. 4.8 Abs. 7 TA Luft habe es daher nicht bedurft. Bei ihrer ergänzenden Prüfung nach Nr. 4.8 Abs. 6 TA Luft hätten Beklagter und Beigeladene auf den "Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen" der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz, Stand 1. März 2012 (LAI-Leitfaden 2012) zurückgegriffen. Danach sei der Beurteilungswert maßgeblich, der aus der Multiplikation des ökosystemspezifischen Critical Load-Werts und einem sich nach Schutzkategorie und Gefährdungsstufe ergebenden Zuschlagsfaktor gebildet werde und vorliegend nicht überschritten sei. Die vom Gutachter der Beigeladenen gewählte Spanne des Critical Load-Werts zwischen 10 bis 20 kg N/(ha*a) sowie der Ansatz eines Mittelwerts dieser Spanne seien nicht zu beanstanden. Die Lage des klägerischen Waldgrundstücks im Naturpark A. führe nicht zu einer Einstufung in eine höhere Schutzkategorie des LAI-Leitfadens.

3 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kläger.

II

4 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

5 1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von den Klägern beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

6 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2022 - 7 B 16.21 - juris Rn. 7).

7 a) Die Frage,
ob im Rahmen der Prüfung erheblicher Nachteile sowie der Bewertung der Schutzwürdigkeit die Regelung in Nr. 4.8 TA Luft 2002, hier konkret die Vorgabe in Satz 5, 2. Spiegelstrich, dass zur Beurteilung landes- oder fachplanerische Ausweisungen zu berücksichtigen sind, unter Verweis auf die Verwaltungsvorschrift des sogenannten LAI-Leitfadens 2012 außer Acht gelassen werden kann,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil sie sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde. Ausführungen des Inhalts, wonach Nr. 4.8 Satz 5 (gemeint ist Abs. 4), 2. Spiegelstrich TA Luft vom 24. Juli 2002 unter Verweis auf den LAI-Leitfaden 2012 außer Acht gelassen werden könne, sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Gegenteil im Rahmen der Prüfung erheblicher Nachteile sowie der Bewertung der Schutzwürdigkeit die Lage des Grundstücks der Kläger im Naturpark A. eingehend berücksichtigt. Er hat insoweit nicht nur darauf abgestellt, dass in Abschnitt 6.2 des LAI-Leitfadens 2012 Naturpark- und Landschaftsschutzgebiete nicht genannt werden, sondern unabhängig davon den Vortrag der Kläger gewürdigt, die Lage im Naturpark A. müsse zu einer höheren Einstufung innerhalb der Schutzkategorie und Gefährdungsstufe des LAI-Leitfadens 2012 führen. Der Verwaltungsgerichtshof führt insoweit aus, aus der eher allgemein gehaltenen Naturparkverordnung ergäben sich keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass jedes von ihr erfasste Grundstück der höchsten Schutzgutfunktion des LAI-Leitfadens 2012 zugeordnet werden müsse. Das Berufungsgericht hat damit die landesplanerische Ausweisung durch die Naturparkverordnung zum Anlass einer Prüfung genommen, ob sich hieraus Folgerungen für die Bewertung der Schutzwürdigkeit im Sinne der Nr. 4.8 TA Luft 2002 ergeben und diese im Ergebnis verneint.

8 b) Die sinngemäß von den Klägern aufgeworfene Frage,
ob es bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit bzw. der Schutzkategorie eines Waldgrundstücks gemäß dem LAI-Leitfaden 2012, insbesondere bei der Frage, ob einem Waldgrundstück die weniger schutzwürdige Produktionsfunktion oder die schutzwürdigere Lebensraumfunktion zuzuweisen ist, auf Vorschriften des Bayerischen Waldgesetzes, der Naturschutzgesetze und eventuell vorliegender Naturparkverordnungen ankommt, oder ob dem entgegensteht, dass es sich um nicht drittschützende Vorschriften handelt und deren Berücksichtigung zu einer unzulässigen "Aufladung" des Eigentumsrechts führt,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.

9 Der den Prüfungen der Stickstoffauswirkungen durch die Erweiterung der Schweinemastanlage ergänzend zur TA Luft 2002 zugrunde gelegte LAI-Leitfaden 2012 ist keine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2021 - 7 C 9.19 - BVerwGE 171, 140 Rn. 21 f.). Der LAI-Leitfaden 2012 ist ein technisches Regelwerk zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen. Seine Auslegung ist nicht Rechtsanwendung, sondern auf der Grundlage zusammengefassten technischen Wissens Tatsachenfeststellung und daher nicht revisibel (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 4 B 3.18 - juris Rn. 8 zur Geruchsimmissions-Richtlinie).

10 Davon abgesehen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass es das Grundrecht auf Eigentum nach Art. 14 GG nicht gebietet, allein im öffentlichen Interesse erlassene Schutzvorschriften für Natur und Landschaft als individualschützend auszulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 2021 - 7 C 3.20 - BVerwGE 171, 292 Rn. 9 f.), so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine für die Kläger günstigere Einordnung ihres Waldgrundstücks nicht in Betracht kommt.

11 Schließlich kann die Revision auch deshalb nicht zugelassen werden, weil es nach der angegriffenen Entscheidung auf die Frage nicht entscheidungserheblich ankäme. Ist die Berufungsentscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2015 - 4 B 59.14 - juris Rn. 26). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich - trotz der von den Klägern beanstandeten Ausführungen - mit den nicht revisiblen Vorschriften des Art. 1 Abs. 1 BayWaldG und der Verordnung über den "Naturpark A. (Südliche Frankenalb)" vom 14. September 1995 (BayGVBl. S. 692) auseinandergesetzt. Er hat zu Art. 1 Abs. 1 BayWaldG tragend darauf abgestellt, dass dieser Norm hinsichtlich der Frage der Genehmigungsfähigkeit nichts entnommen werden könne. Die Frage, ob die Lage des klägerischen Waldgrundstücks im "Naturpark A." zu einer Einstufung in eine höhere Schutzkategorie des LAI-Leitfadens 2012 führt, hat er auch in der Sache verneint und sein Ergebnis, dass der unter Berücksichtigung von Schutzkategorie und Gefährdungsstufe zu bestimmende Zuschlagsfaktor von 2,5 nicht zu beanstanden sei, auf mehrere Gründe gestützt. Die Kläger haben aber nicht zu sämtlichen tragenden Erwägungen des Berufungsgerichts Zulassungsgründe dargelegt.

12 2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der behaupteten Abweichungen des angegriffenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.

13 Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung (unter anderem) des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 4 B 3.18 - juris Rn. 10). Daran fehlt es hier.

14 Die Beschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof weiche vom Urteil des erkennenden Senats vom 21. Januar 2021 - 7 C 9.19 - ab, wonach der LAI-Leitfaden 2012 im gerichtlichen Verfahren keine Bindungswirkung entfalte (BVerwGE 171, 140 Rn. 21), indem er sich bei der Bewertung der Schutzwürdigkeit des klägerischen Waldgrundstücks strikt an der Regelung dieses Leitfadens orientiere. Eine Divergenz ist damit nicht dargetan. Denn das Berufungsgericht führt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats ebenfalls aus, dass der LAI-Leitfaden 2012 keine Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren entfalte und eine solche auch nicht unterstellt werde. Anschließend stellt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass sich eine Nichtverwertbarkeit des Leitfadens für die Prüfung nach Nr. 4.8 Abs. 6 TA Luft 2002 der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen lasse.

15 Ist das Berufungsgericht - wie hier hinsichtlich der Frage der Bindungswirkung - derselben Rechtsauffassung wie ein in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genanntes Gericht und wendet es, nach Auffassung des Beschwerdeführers, den Rechtssatz nur fehlerhaft an oder zieht es nicht die gebotenen Schlussfolgerungen daraus, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 99.13 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 106 Rn. 6 m. w. N.). Indem die Kläger rügen, der Verwaltungsgerichtshof habe dem LAI-Leitfaden 2012 verbindliche Wirkung beigemessen, machen sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit Erfolg gestützt werden kann.

16 3. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich auch nicht das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann.

17 Die Kläger rügen, der Verwaltungsgerichtshof habe den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zur bereits nachhaltigen Schädigung ihres Waldes durch die Stickstoff-Immissionen der streitigen Anlage zu Unrecht abgelehnt, die notwendigen Ermittlungen zur sachgerechten Einstufung ihres Waldgrundstücks in die maßgebliche Schutzgutkategorie unterlassen sowie die Erläuterungen des Sachverständigen H. nicht berücksichtigt. Damit machen die Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und einen Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO) durch das Berufungsgericht geltend. Diese Rügen greifen nicht durch.

18 a) Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgehend von den bereits vorliegenden Gutachten und Äußerungen der in der mündlichen Verhandlung anwesenden Fachbeistände festgestellt, dass keine Anhaltspunkte für die Schädigung des klägerischen Waldes durch die genehmigte Anlage im Sinne der Nr. 4.8 Abs. 7 TA Luft 2002 vorlägen, die eine weitergehende Einzelprüfung erfordern würden. Es fehle an jeglichem substantiierten Vortrag der Kläger dazu, dass etwaige Schäden gerade auf die Anlage der Beigeladenen zurückzuführen sein könnten. Das Berufungsgericht hat den Antrag der Kläger, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben zu der Tatsache, dass der Wald der Kläger, wie vom Sachverständigen H. in seiner Stellungnahme vom 12. April 2021 beschrieben, durch die Immissionen aus der Anlage der Beigeladenen geschädigt wird, als unzulässigen Ausforschungsbeweis abgelehnt. Diese Ablehnung des Beweisantrags findet eine Stütze im Prozessrecht.

19 Ein Beweisantrag ist unter anderem dann unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. Auch Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung nicht nahelegen und können als unsubstantiiert abgelehnt werden. So liegt es, wenn für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsachen nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, das heißt, wenn sie mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" behauptet worden sind. Welche Anforderungen vom Tatsachengericht an die Substantiierung gestellt werden dürfen, bestimmt sich zum einen danach, ob die zu beweisende Tatsache in den eigenen Erkenntnisbereich des Beteiligten fällt, und zum anderen nach der konkreten prozessualen Situation (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 31. Januar 2002 - 7 B 92.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 318 S. 29 und vom 21. Januar 2020 - 1 B 65.19 - Buchholz 310 § 86 VwGO Nr. 382 Rn. 18 m. w. N.).

20 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beweisanträge verfahrensfehlerfrei aufgrund bereits vorliegender hinreichend aussagekräftiger Unterlagen der Fachbeistände abgelehnt. Da bereits Gutachten zur entscheidungserheblichen Tatsache vorlagen, stand es nach § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Verwaltungsgerichtshofs, zusätzliche Sachverständigengutachten einzuholen. Unschädlich ist, dass nicht der Beklagte, sondern die Beigeladene als Vorhabenträgerin die gutachterlichen Stellungnahmen eingeholt hat, da diese in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren einem behördlich veranlassten Gutachten gleichzustellen sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 und vom 28. Juli 2022 - 7 B 15.21 - juris Rn. 25; Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2022, § 98 Rn. 182). Die Einholung eines weiteren Gutachtens hätte sich dem Verwaltungsgerichtshof nicht aufdrängen müssen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die vorgelegten, aufgrund von Einwänden der Kläger später ergänzten gutachterlichen Stellungnahmen offen erkennbare Mängel (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2012 - 7 C 8.11 - Buchholz 419.01 § 26 GenTG Nr. 1 Rn. 37 und Beschluss vom 26. Juni 2020 - 7 BN 3.19 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 122 Rn. 6) aufweisen.

21 b) Zur Zuweisung der Produktionsfunktion hat der Verwaltungsgerichtshof u. a. darauf abgestellt, dass die Kläger ihr Waldgrundstück eigenen Angaben zufolge forstwirtschaftlich nutzen. Die nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO bestehende Aufklärungspflicht hat er damit nicht verletzt.

22 Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher konkreter Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Zudem muss bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt werden, oder dargelegt werden, dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 4 B 63.17 - juris Rn. 7 f. m. w. N.)

23 Die Kläger haben nicht substantiiert dargelegt, zu welcher konkreten Tatsache und mit welchen Aufklärungsmaßnahmen der Verwaltungsgerichtshof den Sachverhalt weiter hätte aufklären müssen. Da nach den aus Sicht des Berufungsgerichts maßgeblichen Abschnitten 6 und 7 des LAI-Leitfadens 2012 hinsichtlich der Zuordnung der Ökosysteme zu den Schutzgutkategorien eine Vielzahl an Umständen relevant sein kann, genügt die pauschale Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe den Sachverhalt nicht genügend ermittelt, nicht den Darlegungsanforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung lediglich auf eine Beweiserhebung zur Frage der Schädigung ihres Waldgrundstücks hingewirkt. Sie zeigen in der Beschwerde nicht auf, weshalb sich aus Sicht des Berufungsgerichts eine weitere Sachverhaltsaufklärung zur Schutzgutkategorie hätte aufdrängen müssen, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung von der forstwirtschaftlichen Nutzung ihres Waldgrundstücks berichteten und ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung am 5. Mai 2021 die Bedeutung dieser Zuordnung für die Bewertung der Stickstoffdepositionen mit ihnen erörtert wurde.

24 c) Der Verwaltungsgerichtshof hat auch die Erläuterungen des Gutachters des Sachverständigen H. nicht unberücksichtigt gelassen, sondern ist ihnen hinsichtlich der Zuordnung zur Schutzgutkategorie lediglich nicht gefolgt. Die Berücksichtigung des Vorbringens ist insbesondere aus der Ablehnung der Beweisanträge ersichtlich, in der auf die vorliegenden Unterlagen der "im Termin anwesenden Fachbeistände" verwiesen wurde. Die vom Verwaltungsgerichtshof verneinte Lebensraumfunktion des Waldgrundstücks der Kläger ist Teil seiner rechtlichen Würdigung, die mit Verfahrensrügen nicht begründet angegriffen werden kann.

25 d) Schließlich liegt ein Verfahrensfehler auch nicht darin, dass mangels Unterschriften der Richter auf der Urschrift der erstinstanzlichen Urteilsformel kein "wirksames rechtsgültiges Urteil" des Verwaltungsgerichts vorliege, wie die Kläger rügen.

26 Es kann dahinstehen, ob ein solcher Fehler in der ersten Instanz auch im Berufungsverfahren noch fortgewirkt hätte oder durch eine fehlerfreie Berufungsentscheidung geheilt oder "überholt" worden wäre. Denn er liegt jedenfalls nicht vor. Die von den mitwirkenden Richtern unterschriebene Urschrift der Urteilsformel, die auch das hiesige Verfahren betrifft, befindet sich in den Gerichtsakten des ursprünglich parallel geführten Verfahrens des Herrn H. B., des Bruders des Klägers zu 1. Das Verfahren der Kläger (AN 11 K 16.01 743 ) und das Verfahren des Herrn H. B. (AN 11 K 16.01 742 ) waren in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2017 von dem Verwaltungsgericht gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden. Das Verwaltungsgericht hat statt der Verkündung des Urteils in den verbundenen Verfahren dessen Zustellung gemäß § 116 Abs. 2 VwGO beschlossen. Im Rahmen des § 116 Abs. 2 VwGO ist § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO entsprechend anwendbar, so dass die Übergabe der von den mitwirkenden Richtern unterschriebenen Urteilsformel an die Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen ausreichte. Dies ist hier unter dem Datum vom 9. Februar 2017 geschehen (Bl. 252 der Gerichtsakte AN 11 K 16.01 742 ).

27 e) Soweit die Kläger in ihrem Schriftsatz vom 2. Juni 2022 darauf hinweisen, dass die Blätter 268 und 269 in den Gerichtsakten AN 11 K 16.01 743 fehlen, legen sie einen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts nicht dar.

28 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Beschluss vom 24.05.2023 -
BVerwG 7 B 27.22ECLI:DE:BVerwG:2023:240523B7B27.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.05.2023 - 7 B 27.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:240523B7B27.22.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 27.22

  • VG Ansbach - 08.02.2017 - AZ: AN 11 K 16.01743
  • VGH München - 07.05.2021 - AZ: 22 B 18.2189

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Mai 2023
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günther und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Kläger gegen den Beschluss des Senats vom 19. Oktober 2022 (BVerwG 7 B 19.21 ) wird verworfen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge ist unzulässig. Die Kläger haben entgegen § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO nicht dargelegt, dass der Senat ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in dem angegriffenen Beschluss vom 19. Oktober 2022 in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, aus seiner Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch dazu, sich deren Rechtsauffassung anzuschließen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 14. November 2017 - 10 B 4.17 - ZOV 2018, 48 Rn. 10 m. w. N.).

2 Die Kläger greifen mit ihrer Anhörungsrüge erneut die Form des verwaltungsgerichtlichen Urteils an. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde hatten die Kläger einen Verfahrensfehler gerügt, weil mangels Unterschriften der Richter auf der Urschrift der erstinstanzlichen Urteilsformel kein "wirksames rechtsgültiges Urteil" des Verwaltungsgerichts vorliege. Der Senat hat sich - was die Kläger auch nicht in Abrede stellen - in seinem Beschluss hiermit auseinandergesetzt. Er hat angenommen, dass ein Fehler jedenfalls nicht vorliege. Die von den mitwirkenden Richtern unterschriebene Urschrift der Urteilsformel, die auch das hiesige Verfahren betreffe, befinde sich in den Gerichtsakten des ursprünglich parallel geführten Verfahrens des Bruders des Klägers zu 1, die in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2017 von dem Verwaltungsgericht gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden waren (BA Rn. 26). Dass der Senat bei der Prüfung der Verfahrensrüge zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, als die Kläger für richtig halten, berührt ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht.

3 Mit ihrer Anhörungsrüge ergänzen die Kläger nunmehr ihr Vorbringen zum Vorliegen eines Verfahrensfehlers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Der unterzeichneten Urteilsformel des Verwaltungsgerichts fehle es an den vollständigen Namen der Richter, eine Unterschrift der Urkundsbeamtin auf dem Urteil sei nicht vorhanden, unklar bleibe, wann das Urteil erlassen worden sei, die Berufungsentscheidung beruhe deshalb auf einem nicht existenten Urteil und deren Urteilstenor weise ebenfalls nicht die vollen Namensunterschriften der mitwirkenden Richter auf. Dieser ergänzende Vortrag geht im Rahmen der vorliegenden Anhörungsrüge nach § 152a VwGO fehl.

4 Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, eine vorinstanzliche Entscheidung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 5 B 13.10 - juris Rn. 3 m. w. N.). Sie kann auch nicht darauf gestützt werden, dass dem Bundesverwaltungsgericht bei der Überprüfung eines Verfahrensfehlers der Vorinstanz materiell-rechtlich ein Rechtsfehler unterlaufen sei. Die Anhörungsrüge gegen einen Beschluss, mit dem eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen worden ist, ist vielmehr unzulässig, soweit sie sich nicht gegen eine neue und eigenständige Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Bundesverwaltungsgericht richtet, sondern lediglich einen (Verfahrens-)Fehler durch die Vorinstanz geltend macht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. November 2008 - 7 BN 5.08 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 6 Rn. 2 und vom 6. Juli 2010 - 5 B 13.10 - juris Rn. 3). So liegt es hier.

5 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.